BLV: Konsultationsantwort SOCIALBERN - socialbern.ch

BLV: Konsultationsantwort SOCIALBERN



Die vollständige Konsultationsantwort von SOCIALBERN zur Verordnung über die Leistungen für Menschen mit Behinderungen (BLV) mit sämtlichen Bemerkungen zu einzelnen Artikeln finden Sie hier.


Kernaussagen:


Mit dem BLG und der BLV sollen Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, relative Wahlfreiheit und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gestärkt werden. Das vorgeschlagene System geht grundsätzlich in die richtige Richtung und ist ein erster Schritt zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, wozu sich die Schweiz mit der Ratifizierung verpflichtet hat.
Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und auf Inklusion in die Gemeinschaft bedingt, dass vielfältige und durchlässige Angebotsformen mit bedarfsorientierter Unterstützung verfügbar sind. Entsprechend braucht es angemessene Rahmenbedingungen, so dass für die von den Menschen mit Behinderungen nachgefragten Leistungen entsprechende Leistungsangebote in hinreichender Anzahl und guter Betreuungsqualität vorhanden sind (d.h. von juristischen oder natürlichen Personen entsprechend angeboten werden können) und der Systemwechsel gut gelingt.

  1. Mit dem Systemwechsel wird nicht nur über die «Optimierung der Bedarfsermittlung» Geld eingespart, sondern zusätzlich auch über tiefere Abgeltungssätze. Diese wurden im Vergleich zum Pilotmodell «Berner Modell» - zum Teil massiv - gesenkt und sind sehr tief.
    Dies betrifft insbesondere die Abgeltung der personalen B- und C-Leistungen. Gegenüber dem Pilotprojekt «Berner Modell» wird der Stundenansatz der (nicht-qualifizierten) C-Leistungen um fast einen Drittel reduziert! Die Abgeltung für C-Leistungen beträgt noch CHF 34.30/Stunde – einiges tiefer als z.B. in den Kt. BS/BL. Zu wenig, um angemessene Löhne zu finanzieren, zumal sie auch Lohnnebenkosten, Nacht- und Wochenendarbeit, Ferien, Aus- und Weiterbildung, Stellvertretungen / Abwesenheiten (Krankheit, Unfall, Militär, Schwangerschaft etc.) und Pausen enthalten. Markt- und branchenübliche Arbeitsbedingungen und Löhne sind mit diesen Ansätzen nicht gewährleistet, Auch werden negative Anreize für die Aus- und Weiterbildung des Personals gesetzt, da diese unmittelbar zu höheren Kosten führt (Aus- und Weiterbildungsbeiträge, höhere Löhne aufgrund besserer Qualifikationen).
  2. Zusammensetzung Betreuungspersonal im stationären Setting: Im Vortrag wird unter Art. 5 festgehalten, dass bei stationären Leistungen der Anteil an C-Leistungen ohne ausgewiesenes Fachwissen i.d.R. den grössten Teil der Leistungserbringung ausmachen wird. Dies widerspricht den Ausbildungsanforderungen an das Betreuungspersonal gemäss interkantonalen IVSE-Rahmenrichtlinien der SODK zu den Qualitätsanforderungen. Eine wesentliche Anerkennungsvoraussetzung gemäss IFEG (auf welche auch in Art. 54 Abs. 1 BLG explizit hingewiesen wird) würde damit nicht erfüllt. Die Vorgaben der IVSE müssen eingehalten werden.
    Mit einem Anteil von min. 50% C-Leistungen bei einer Entschädigung von CHF 34.30 wird es bei vielen Menschen zu Problemen bei der Sicherstellung einer angemessenen Betreuung kommen – sowohl im ambulanten wie auch im stationären Setting. Mit diesen Abgeltungen wird sich kaum ein angemessenes Angebot von institutionellen und privaten Assistenzdienstleistenden entwickeln können.
  1. Für die Institutionen gibt es viele finanzielle Risiken bei höherem Aufwand und gleichzeitig tieferen Abgeltungen:
    1. Nicht nur bei der GSI, den Beiständen und Menschen mit Behinderungen, sondern auch bei den Institutionen müssen die Mehrkosten aufgrund der Systemwechsels mitfinanziert werden. Zusätzlicher systembedingter Aufwand (z.B. aufwändigere Bedarfsabklärungs- und individuelle Abrechnungsprozesse) sowie notwendige organisatorische, personelle und systemtechnische Anpassungen bei gleichzeitig geringeren zur Verfügung stehenden Mittel gefährden die finanzielle Stabilität der Leistungserbringer.
    2. Das neue Modell ist in der Praxis kaum validiert und soll auf Ebene einzelner Institution sofort nach Abschluss der IHP-Bedarfsermittlung scharf gestellt werden. Es braucht verlässlichere Übergangsregelungen mit mehr Steuerungsmöglichkeiten und Sicherheiten, um in der Übergangszeit den Risiken aus dem Systemwechsel für die qualitative und quantitative Sicherstellung der Versorgung genügend Rechnung zu tragen.
u Negative Auswirkungen sind absehbar:
    • Druck auf die Betreuungsqualität und das Angebot für Menschen mit Behinderung
    • Druck auf die Löhne und die individuellen Lohnentwicklungsmöglichkeiten von Arbeitnehmenden; Verschlechterung der Branchenattraktivität in Zeiten des Fachkräftemangels
    • Druck auf die institutionellen Leistungserbringer bezüglich Sicherstellung eines qualitativ angemessenen Leistungsangebots und dessen Finanzierung
  1. Eine Indexierung der Abgeltungen ist in der Vorlage nicht abgebildet, ist jedoch zwingend nötig (Referenzen: Teuerungsentwicklung gemäss Landesindex der Konsumentenpreise, Lohnmassnahmen des Kantons; für die Infrastrukturpauschale Hochbaupreisindex sowie hypothekarischer Referenzzinssatz).
  2. Auf Angebote für besonders anspruchsvolle Platzierungen (bisher: KBS) und weitere besondere Angebote für bestimmte Klientengruppen (z.B. Intensivwohngruppen) wird spärlich und nur indirekt eingegangen. Grundsätzlich bieten BLG und BLV zwar die Voraussetzungen, um solche Angebote mit angemessenen Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Um die Versorgung für diese Klientengruppen zu sichern, braucht es bei den personalen Leistungen jedoch u.a. einen angemessenen Umgang mit der Obergrenze des Leistungsbezugs bzw. der Handhabung bei Überschreitung des max. Leistungsbezugs gemäss Art. 26. Zudem muss es möglich sein, für spezifische Angebote mit offensichtlich höheren Kosten auch für nicht-personale Leistungen (insb. erhöhte Infrastrukturkosten) zusätzliche Mittel bereit zu stellen, sei es über höhere Abgeltungen für nicht-personale Leistungen oder ergänzende Leistungsverträge.